Ellen Bauer, IGB Nordfriesland
Lichtblicke – wer ist nicht beglückt über diese. Licht braucht der Mensch zum Leben, also holt er sich dieses in seine Wohnstatt. Nicht in Tüten wie die Schildbürger, sondern er löchert die Wand oder das Dach und schickt zumeist auch Luft herein, macht das eingebaute Fenster beweglich.
Die nordfriesische Hauslandschaft
Uthlandfriesisches Haus, Geesthardenhaus, Haubarg, Kate und diesen Haustypen verwandte Häuser des ländlichen Raumes kennzeichnet ein relativ steiles Reetdach als Sparrendach unter geschossenem Reetmantel. Ursprünglich ohne wesentliche Löcher befindet sich unter dem Dach der Heu- oder Kornboden, das Dresch- oder Vorratsgut, der Trockenboden. Gewohnt wurde im Erdgeschoss (Bild 1-4).
Die Luke als wichtige Öffnung für den Boden ist ursprünglich nur ein Ausschnitt über der Traufzone, überwölbt von Reet. Später befindet sie sich im Giebel oder Krüppelwalm und vermeidet somit den Einschnitt in die Reetfläche. Licht für den Boden bringt ein Halbmondfenster im Giebel oder kleine Fenster im Krüppelwalm (quadratisch im 18.Jh, rechteckig im 19.Jh). Überliefert sind auch Trauffenster, ähnlich in der Anlage wie Luken (Bild 5-7). Noch häufig zu finden und nachgebaut sind die „Ochsenaugen", klein und unauffällig in der Reetfläche (Bild 8,26). Im 19. Jh kommen eiserne Dachflächenfenster hinzu, die als Firstsattelfenster sehr viel Lichteinfall bringen, doch reparaturanfällig sind, da bekanntlich der First zuerst „abbaut“, so „rutschen“ sie später in die Fläche des Daches und werden dort eingebaut (Bild 9,25). Stuben im Dachbodenbereich werden immer so angeordnet, daß sie über ein Fenster im Giebel oder Krüppelwalm belichtet werden können (Bild 4). Wie eine Gesetzlichkeit wiederholen sich die Öffnungsarten, ein Aufschneiden des Reetes wird dabei gering gehalten, wenn nicht vermieden.
Das Reetdach – welch ein Gewebe, besser wohl Gebinde aus Tausenden von Halmen, aus Hunderten von Bunden, gelegt, gebunden, genäht, auf Schleten, Latten, Stöcken – ein Schutzmantel dicht durch Dicke, ein raffiniertes handwerkliches Gewirk. Ein einzelner zerbrechlicher Reethalm ergibt in der Addition einen witterungsbeständigen Dachaufbau, nur durch die Idee der Technik, die Schuppentechnik, das Binden. Jeder Arbeitsgang ist Handarbeit So drängt sich mir ein Vergleich auf: Als Kind habe ich viel gegrübelt, wie's denn möglich sei, daß beim Stricken ein einzelner Faden so verschlungen wird, daß ein dichter Stoff entsteht. Löcher im Reet, Lochmuster in der Strickdecke sind zunächst das Gegenteil von dem, was die Technik anstrebt, nämlich Halt und Dichte. Schneiden wir also Löcher in das Reet weil wir Fenster wollen, so sind es die Nahtstellen, mit denen Handwerker und Architekt sich besonders beschäftigen müssen.
Nun vollzieht sich seit ca. 20 bis 25 Jahren der Verkauf der Bauern-, Fischer und Handwerkerhäuser im ländlichen Raum an Fremde. „Fremdenverkehr“ ist das neue Gewerbe. Dachböden bieten kostbaren zusätzlichen Wohnraum, denken und praktizieren alle neuen Besitzer. Die Böden werden ausgebaut, am liebsten ganz und gar. Licht muß her. Zu große Dachausbauwerke werden hier und da vollbracht. Das Verhältnis verbleibender Dachfläche zu Dachgaube verschiebt sich bei manchen Häusern derart, daß, wer genau hinschaut, die Hausentfremdung sieht. Kopflastig steht das eine, mit zu groß aufgerissenem Visier das andere, Glotzaugen größer als Ochsen, versuchen das Mehrlicht unter der Dachsçhräge, doch, und an dieser Stelle sei Kritik erlaubt, häufig mit viel Verbretterung und wenig Glasausschnitt (Fotos 12-14). Nur so möge unsere Kritik verstanden werden, zum einen die großen Anstrengungen zum „Friesenhauslook“, zum anderen alle Mühe verspielt durch das Brechen mit der Verhältnismäßigkeit, wenn ein zweites Geschoß aus dem Dach wächst, wo vorher die große ruhige Dachfläche den kaufenden Liebhaber anlockte (Fotos 14,16,18).
Nicht gegen die Nutzung des kostbaren Raumes unter dem Dach erlaube ich mit zu sprechen, sondern gegen die Art, Licht unter den Dachausbauwerken zu verschenken, sie also größer zu bauen als notwendig. Auch die Überwölbung von mehreren Fenstern zu einer Großgaube gehört dazu (Fotos 14,16,17).
Je weitgehender die neue Nutzung auf die ursprünglich gebaute Struktur eines denkmalwürdigen Hauses Rücksicht nimmt, desto besser das Ergebnis. Für unsere Region kann gelten: Nutzungsbereiche mit hohen Lichtanforderungen bleiben ein Problem unter dem Reetdach. Vor dem Erwerb sollte man bei der Einschätzung von Flächen im Bodenbereich zur vollen Nutzung vorsichtig sein – nicht zuletzt wegen der Kosten. Viel Geld kann gespart werden, zumal auch die Statik häufig nicht reicht (Foto 19,20). Die Hauslandschaft duckt sich eingeschossig, im flachen Land eingebettet im Grün der Hofanlage. Das bleibt typisch. Jeder Zweigeschosser fällt auf.
Im „Maueranker“ vom März 1988 („Gauben im Reetdach“) veröffentlichte Architekt Jan Leseberg eine Gaube, die sich besonders unauffällig in die Reetfläche einfügt. Er fand sie in einem historischen Gebäude, untersuchte, vermaß, zeichnete sie und baute sie nach. Die Veröflentlichung zeigte Wirkung: Die inzwischen nach ihm benannte „Leseberg'sche Gaube“ fand weitere Liebhaber unter Bauherren, Reetdeckern, Tischlern und Architekten. Hier und da guckt sie, auch zu rnehren gereiht, ganz bescheiden vom Dach herab (Foto 21). Doch auch sie „hat es in sich“. Die Prinzipzeichnungen 1-3 zeigen es. Während an Lesebergs Fund in einem Dach von ca. 60°Neigung es sich im Bereich der Sparrenlage problemlos einfügt, sieht alles ganz anders aus, wenn die
Dachneigung nur 50° oder gar 45° hat (Foto 23).
Da die Dächer der benannten Häuser zuvor nicht ausgebaut waren, brauchten neue Fensterarten nicht den Anforderungen des heutigen Wohnhaus zu genügen. So liegen keine erprobten Rezepte vor, wie sie am besten zu bauen sind, außer für die üblichen hohen Gauben, die als Gestaltungselement auch im Englischen Landhaus vorkommen. Jedoch diese können für nachträgliche Einbauten aus erwähnten Gründen nicht als Vorbild benutzt werden.
Wenn ein Baudenkmal also im Dachbereich gelöchert werden muß, sind Lichtlösungen Experimente, die unterschiedliche Qualitäten hervorbringen können. Ich möchte hier nur zusammenfassen, welche Punkte einer besonderen Beachtung bedürfen, nachdem an einem Bau experimentell vorgegangen werden mußte.
Die Position des Dachfensters
1. Optisch gestalterische Gesichtspunkte
Unser Auge „fällt in ein Loch“, wenn das Dachfenster in seiner Position nicht richtig ausgemittelt ist. Nach meiner Erfahrung sitzt es gut, wenn die senkrechte Fensterachse im Schnitt mit der Außenkante des Sparrens ihren Schnittpunkt findet, also dort vor dem Eindecken mit Reet aufgesetzt wird, wo auch die Dachlatten genagelt werden, (siehe Skizze 1, 2 und 3). Es empfiehlt sich ein waagerechtes Kantholz als unteres Konstruktionsholz. Während beim steileren Dach das weiter nach innen eingebaute Fenster, z.B. zwischen den Sparren (siehe Skizze Leseberg 1988) noch möglich ist, bildet beim flacher geneigten Dach das Fenster eine Höhle von außen, die das Auge von fast allen Standpunkten – unter der Traufe, weiter entfernt – wie ein störendes Loch wahrnehmen kann. Wird es weiter nach außen „gezogen", entsteht eine stärkere Überwölbung.
2. konstruktive Probleme
Skizze 1, Dachneigung 60°,
zeigt einen Originalbefund. Dieses Fenster läßt sich gut einbauen und überdecken
Skizze 2 und 3, Dachneigung 50° und 45°,
demonstrieren bei einem Nachbau im Schnitt, wie tief der gesamte Bereich von Vorderkante unterstes Leckbrett bis zur Vorderkante der inneren oberen Fensterleibung wird. Auf diese nachteilige Vorgabe muß reagiert werden, damit optisch und konstruktiv der Einbau gut gelöst wird. Die Eindeckung in Reet wächst über dem Fenster auf ca. 60 cm, diese Stärke kann der Reetdecker nicht nähen, nicht zusammenfassen. Es muß eine Sonderkonstruktion eingeführt werden, die wiederum nicht zur Oberkante der Fensterıarge verlaufen kann (wäre statisch besser), weil dann die Überdeckung zu schwach ausfällt oder doch „aufgepolstert“ mit mehr Reet der Lichteinfall erheblich geringer wird. Im Leckbrett-Bereich entsteht auch ein Problem, wenn das Fenster nicht gut ausgemittelt wird. Es können hier bis zu vier Leckbretter nötig werden, das „schwarze Loch" kann entstehen. wenn das Fenster um Zentimeter nach innen versetzt wird. Hier ist wirklich Augenmaß erforderlich (Bild 24).
Beim 45° Dach empfiehlt sich eine Reduzierung der Reetstärke, die zur übrigen Dachfläche vermittelt werden kann. Handarbeit macht’s möglich. Der Neigungswinkel sollte gerade noch so stark sein, daß das Wasser ablaufen kann. Je steiler hier die Neigung, dato tiefer die Leckbrettzone (siehe Skizze 3). Eine Sicherung durch Einziehen einer Folie, Pappe oder das aufarbeiten einer Blechabdichtung ist angezeigt, besonders bei 45°, wenn die Belichtung – anders als beim historischen Fund – einem genutzten Dachausbau dienen soll.
Wie in der Mathematik die eine Größe auf der einen Seite in Abhängigkeit zur Größe auf der anderen Seite steht, so auch hier die Abhängigkeit der verschiedenen Anforderungen: Dachneigung – Fensterhöhe – Überwölbung – deren Neigung – Tiefe der Leckbrettzone – deren Neigung – Konstruktion zum Einbau – Sonderkonstruktion – Reetdicke – Lichtmenge – Platz für Anschlüsse des Innenausbaus. Ein Gewinn auf der einen Seite kann Verlust auf der anderen bedeuten.
Ein neuer Fund von Jan Leseberg – ein Mittelding zwischen Gaube und Flächenfenster – bringt viel Licht und wenig konstruktive Probleme, auch im 45°-Dach. Eine sparsame Form auch finanziell (Bild 11a und b).
Fotos und Zeichnungen bieten eine kleine Demonstration zur Offenlegung der Probleme für alle, die sich mit dem Erhalt und Ausbau ihres reetgedeckten Hauses auseinandersetzen. Wir sind der Meinung, daß die Reihung mehrerer kleiner Öffnungen im Reetdach und die Anordnung aus Kombination verschiedener unauffälliger Lichtquellen, wie auch bei historischen Häusern zu finden (Firstsattel, Flächenfenster, kleine Gaube) weniger Störung in der Dachfläche bedeuten, dabei aber mehr Licht bringen. Dieses kann imAusbau auch indirekt verwendet werden. wenn es z.B. vom First kommt. Es lassen sich hier moderne und innen reizvolle Lösungen finden.
Das Herauswachsen eines quasi zweiten Geschosses sollte vermieden werden. Daß der Teufel schon immer im Detail gesessen hat, sollte herausfordem, das „göttliche Detail" beim Einbau dieser zurücktretenden, aber effektiven Lichtspender zu finden.
Fotos: Ellen Bauer, IGB-Archiv
Aus dem IGB-Archiv, Der Maueranker 04/1992