Geschichte
Das Utlandfriesische Haus der Weidebauern und Seefahrer ist dem eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Wohnstallhaus der archäologischen Ausgrabungen des nordeuropäischen Raumes ähnlich. Für diese sind Holz-Innenständergerüste als Konstruktion, Wohnen mit Feuerstelle und Wirtschaften unter einem Dach und die Längsaufstallung über eine Stalltür auf der Schmalseite des langgestreckten Gebäudes typisch. Der Nachbau eines eisenzeitlichen Hauses ist heute auf der Insel Amrum zu besichtigen.
Mit den verschiedenen Einwanderungen der Friesen im 8. und 12. Jahrhundert aus West- und Ostfriesland über das Mare Frisicum (die Nordsee) wird das Utlandfriesische Haus in den oben genannten Gebieten vorherrschend. Mit den friesischen Siedlern kommen die friesische Sprache, ihre Kultur und Baukultur nach Nordfriesland. Älteste in Nordfriesland erhaltene Utlandfriesischen Häuser datieren in die 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sturmfluten haben ältere Bestände vernichtet. Erst ab dem 16. Jahrhundert wurden zunehmend massive Backsteinwände anstelle der leichteren Lehm-Flechtwerk- und Holzwände gebaut, so dass nur die Archäologen Spuren der älteren Befunde freilegen können. Immer wieder wird Tacitus (um 100 n.Chr.) zitiert. Schon die Römer kannten die Frisii, das Volk der Seefahrer und Händler, hier an der Küste und im vom Meer umspülten Land. Der Historiker Bantelmann datierte die ersten Wohnstallhäuser auf der Dorfwarft Tofting an der Eider bei Oldenswort in diese Zeit, unter den Funden gab es Römische “terra sigillata“ (Tonscherben).
Konstruktion
Das Utlandfriesische Haus ist als Grundtyp das friesische Fachhaus mit wandnahem Innenständergerüst im Stall- und Wohnteil, das in sich ein stabiles Hausgerüst bildet. Wenn Stürme und Fluten Wand und Dach zerstörten, blieb häufig das Holzgerüst den Menschen zur Rettung, auch zum Wiederaufbau. Doch dieses ist nicht der baugeschichtliche Hintergrund. In seiner konstruktiven Ähnlichkeit zum Niederdeutschen Hallenhaus, das auch in West- und Ostfriesland in frühester Form im 16. Jahrhundert nachweisbar ist, übernimmt die Statik des Hauses das Ständergerüst und nicht die Außenwand. (V.G.) Ein Fach kennzeichnet das Maß zwischen zwei Ständern bzw. Sparren mit Deckenbalken. 9-15 Fach weisen auf den reicheren Besitzer, 4-5 Fach z.B. messen oft nur die Häuser der „Kleinen Leute“, 7-9 Fach ist der häufigste Typ und hat dann Abmessungen von ca. 8 m Breite und 12-16 m Länge. Anklappungen mit Untersparren erweitern die Hausbreite zwischen den Ständern nach außen zur Wand, es entsteht eine niedrige Traufe, das bedeutet Ersparnis von Wandmaterial. Aus ehemals Plaggenwänden, Flecht-Lehmwänden, Holzwänden werden mit der Zeit gemauerte Wände. Die Holzverkleidungen an den Giebeln weichen ebenso dem stabileren Mauerwerk.
„Das neue Haus ist aufgericht, gedeckt, gemauert ist es nicht“ (L.C.P.)
Die Ausrichtung des oft langgestreckten Hauses ist zumeist ost-westgerichtet, zum Schutze gegen den Wind. Die Gleichrichtung mehrere Gebäude – z.T. auf den Inseln und Halligen erhalten – ist typisch, sie stehen eng beieinander. Eine Besonderheit für die Hausforschung überliefert das von der IG Baupflege herausgegebene Buch „Sie überstanden die große Flut von 1825“ (B.A /G.K.) Die Hallighäuser überstanden bis auf eines (weniger geschädigt) auf der Ketelswarft von Langeness (heute Kapitän-Tadsen-Museum) nicht diese Flut, alle wurden kurz danach wiederaufgebaut. Damit waren die Innenständergerüste verschwunden. Hier und da ist ein Ständer ins neue Haus übernommen worden, die guten Bestandsaufnahmen der Studenten belegen es.
Hierzu Oldekop (1906): „Halligen (Abhänge) sind als Überbleibsel der allmählich zertrümmerten Marschlandschaft Nordstrand, welche ehedem die weite Bucht von Husum ausfüllten, anzusehen. … Sie liegen als freundliche Oasen in der Wattenwüste (auch Augen des Meeres genannt) und sind große Marschweiden, belebt mit gut genährten Rindern und Schafen. … Die Häuser liegen einzeln auf den angehöhten sogen. Werften oder Warften. Das Hallighaus von Ost nach West gerichtet, ist einfach, es hat erdfeste Ständer und starke Holzverbände, um den Hochfluten Widerstand zu leisten.“
Über die Grenze geschaut: Die friesischen Inselhäuser auf Röm folgen in Hausgerüst und Grundriss dem nordfriesischen Prinzip unter Verzicht auf Kübbungen. Somit entstehen in der Außenwand stehende Ständer ohne Riegel und Schwelle und damit lasttragende Außenwände in einer besonderen Form des Fachwerks. Ein interessanter Unterschied, der jeweiligen Bautradition folgend. (MA 02/1994 G.K.)
Bewirtschaftung
Wohn- und Stallteil waren stets getrennt durch eine schmale Querdiele, einem Gang mit Süder- und Nordertür. Es ist ursprünglich das Haus der Weidebauern und Seefahrer, Handwerker und Selbstversorger, insbesondere der Halligbewohner vor den Eindeichungen. Im Stallteil gab es für Erntegut und Drusch keinen besonderen Raum, lediglich eine vertiefte Abtrennung durch Holzwände zwischen den Ständern. Die Tiere standen mit dem Kopf zur niedrigen Wand, es gab Abseiten für Futter und Kleinvieh. Die Erschließung des Stallbereiches erfolgte in Längsrichtung über die Stalltür auf der schmalen Giebelseite mit vorgelagertem Dunghaufen. Das Heu wurde in Leinentüchern über eine kleine Luke im Krüppelwalm auf den Dachboden eingebracht. Aus Platzmangel wurde Heu auch im Vierrutenberg oder in Klothen (Heudiemen) im Freien gestapelt.
Der Wohnteil wurde im Prinzip durch ein Wandkreuz in vier Räume geteilt, in dessen Kreuzungspunkt die Herdstelle, der Schornstein steht. So entstehen als Nutzungsbereich zum Wohnen die Küche mit offener Herdstelle, die tägliche Wohnstube (Döns), die nicht beheizte „Gute Stube“ (Pesel), die „Hochstube“ als Wirtschaftsraum (Kammer, Brotbacken, Webstuhl etc.), in der die Treppe zum Keller führt, der nur in halber Höhe zum Schutz gegen Grundwasser im Erdreich liegt. (Die friesische Sprachvielfalt hat eine Fülle von unterschiedlichen, ähnlichen Bezeichnungen für die Räume (L.C.P.)
Da das Utländische Haus für den steigenden Bedarf an Erntegutlagerung und Viehhaltung konstruktiv schwerlich erweiterbar ist, hat es nachweislich schon frühe Formen von Scheunenanbauten gegeben. Schon das derzeit älteste bekannte Utlandfriesische Haus – Haus Axen in Lindholm, erbaut 1648 – hat eine parallel angebaute, quererschlossene Scheune gehabt (B/Str). So erklären sich die späteren besonderen Erweiterungsformen des Utländischen Hauses, nicht als gleichgerichtete Verlängerung des Hauses wie beim Geesthardenhaus, sondern Scheunen- und Stallanbauten bilden einen oder auch mehrere Winkelbauten (in die 5 oder 7 gebaut) bis zu den großen sogenannten Vierkanthöfen (dän.: Gaards) in besonders fruchtbaren Kögen.
Und heute?
Die spätere Form ohne Innenständergerüst ist zahlreich erhalten als Landstelle, Kate, Handwerker- oder Fischerhaus, Kapitänshaus auf den Inseln und als Hallighaus. Das Utlandfriesische Haus ist beliebt als Wohn- oder Ferienhaus: roter Ziegel, weiss gestrichene Türen und Sprossenfenster, Reetdach.
Grundriss
Erhaltene Utlandfriesische Häuser
• Haus Olesen von 1617 (transloziert) / Dr.-Carl-Häberlin-Friesenmuseum, Boldixum, Föhr / öffentlich zugänglich
• Heimatmuseum / Keitum, Sylt / öffentlich zugänglich
• Haus Axen von 1648 / Lindholm – Privatbesitz
• Haus von 1634 / Molfsee Freilichtmuseum bei Kiel / öffentlich zugänglich
• Haus von 1669 / Langenhorn / Privatbesitz
• Kapitänshaus Tadsen / Haus-Tadsen-Museum, Hallig Langeness / öffentlich zugänglich
Erhaltene Utlandfriesische Häuser in der Erweiterungsform
• Andersen-Hüs von 1723 / mit Scheunen- und Stallanbau / Klockries
• Dreiseithof / Risum-Lindholm
Vertiefend zu diesem Thema aus dem IG Baupflege Archiv
Maueranker 02/1994:Die Evolution des Sylter Friesenhauses, von Peter Schafft