Die Entstehung der Nordfriesischen Hauslandschaft auf dem Festland, den Geest- und Marscheninseln und den Halligen.

Text: Ellen Bauer

Der Kreis Nordfriesland mit den vorgelagerten Inseln und Halligen wurde 1970 aus den Altkreisen Südtondern, Husum und der Halbinsel Eiderstedt gegründet und ist eine junge politische Gesamtheit. Wirtschaftliche und kulturelle Gemeinsamkeiten sind unter der Landesherrschaft der Herzöge von Gottorf von 1544-1720 gewachsen sowie unter der Dänischen Krone von 1720 – 1867, als die Region schließlich Teil der Preußischen Provinz Schleswig-Holstein wurde. Ihr geografischer Verbund ist der gemeinsame Wattenmeerraum der Nordsee, die Marschenlandschaft aus 171 Kögen, die vom 12. Jahrhundert bis in unsere Zeit durch Deich- und Entwässerungsbau entstand, sowie der nordsüdlich verlaufende Geestrücken. Die verwaltungstechnische Einteilung des vielgestaltigen Landes in Harden erfolgte nach dem dänischen Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus bereits im 12. Jahrhundert unter der Landesherrschaft der Dänischen Krone. Er benennt das Land „Kleinfriesland – Frisia Minor“. Mehrere Bauernschaften (Dörfer) bildeten ein Kirchspiel, mehrere Kirchspiele eine Harde. Einteilungen und Begriffe haben sich bis heute erhalten. Die Wiedingharde, Böking- und Karrharde sind heute noch Amtsbezirke.

Die ersten Kirchengründungen der Kirchspiele erfolgten im 12. und 13. Jahrhundert. Ein großer Architekturwert ist hiermit überliefert, gibt er doch Maßstab und Zeugnis für bauliche Leistungen und Traditionen der Zeit, aus der Profanbauten nicht erhalten sind (z.B. Bauernhäuser). Wertvolle Innenausstattungen des 16. und 17. Jahrhunderts, insbesondere romanische Taufsteine, gotische Altäre und Kanzeln der Renaissance, sind erhalten. Ein „Bauernboden“ von 1654 in der Tetenbüller Kirche wird von den reichen Bauern gestiftet. Dieses ist die Zeit, aus der die mächtigen Haubarge und kleineren Utlandhäuser erhalten sind.

Die großen Inselkirchen – hier sei der sogenannte „Friesendom“ St. Johannes in Nieblum auf Föhr erwähnt – dienten mit ihren mächtigen Türmen als Schutz und Orientierungszeichen den Seefahrern, waren auch Zeichen des mittelalterlichen Wohlstandes der Friesen. Diese sicherten ihre Existenz durch Vieh- und Salzhandel und im „Goldenen Zeitalter“ des 17. und 18. Jahrhunderts durch Beteiligung am Wal- und Robbenfang der Niederländer.

Die kleinen Halligkirchen sind einfache Saalkirchen von besonderem Reiz in ihrer Bescheidenheit. Solche stehen nun – nach der Eindeichung – auch mitten in den Kögen, z.B. in Ockholm, Westerhever, Osterhever. Die Kirchen haben häufig einen freistehenden hölzernen Glockenstapel, z.B. auf Hallig Oland, Hooge und Langeneß oder in Katharinenheerd, Koldenbüttel, Bordelum, Bargum (u.a.m.). Nach friesischer Art haben viele Kirchen eine Norder- und eine Südertür. Hervorzuheben sei hier eine sehr kleine Dorfkirche aus dem 12. Jahrhundert, die im Geestdorf Olderup (Südergoesharde) lindenumstanden liegt. Ihr Grund- und Aufriß entspricht der Tradition früher karolingischer Saalkirchen der Christianisierung, wie sie wohl auch für England und Irland typisch sind. Schiff- und Kastenchor sind durch den Triumphbogen getrennt, Norder- und Südertür sind die Erschliessung. Auch hier steht ein später errichteter hölzerner Glockenturm. Wo es Kirchen gibt, lebten Bauern, doch ihre Häuser waren keine „festen Häuser“ aus Stein. Sie stehen nicht mehr.

Der Geestrand zur Marsch ist von Beginn der Besiedlung der bevorzugte Siedlungsplatz (auch für die Kirchorte), von dem auf kurzen Wegen zu den Marschländereien und ebenso zu den höher gelegenen Geestflächen Viehauftrieb und Landbestellung nutzbringend erfolgen konnte.

Beispielhaft kann hier Langenhorn in der Nordergoesharde als Reihendorf mit Marschenhufen vorgestellt werden, mit beidseitig zur Dorfstrasse angeordneten Langhäusern, den Gehöften, und mit schmalen Geesthufen, durch Gräben getrennt, in analoger Zuordnung. Die Orte Midlum, Oldsum, Oevenum, Wrixum auf der Insel Föhr folgen dem ähnlichen Prinzip, das gut erhalten ist. Wie ehemals auch auf der ehemaligen Düneninsel Niebüll haben sie jedoch zwei parallel angeordnete Erschließungswege mit Stichwegen, die von der Geest, der Gehöftlage, zur Marsch führen. Der höher gelegene Geestweg blieb bei Überflutung trocken. Der älteste Bauernhaustyp hier ist das friesische Fachhaus – das Utlandfriesische Haus mit Innenständergerüst.

Auf der Geest überwiegt die Form des Haufendorfes mit dem jütischen quergeteilten Geesthardenhaus, das mit Aufhebung der Allmende im 18.Jahrhundert und Vermehrung des Graslandes hier der dominante Bauernhaustyp wird.

Ab dem 16. Jahrhundert sichern sich die Herzöge zunehmend die Rechte auf das Vorland. Nach dem Beispiel der Wiedereindeichung der Marscheninseln Nordstrand und Pellworm nach der Großen Flut von 1634 mittels der Oktroy-Verträge zwischen Herzog und den Partizipanten aus den Niederlanden als neue Siedler kommt es zu einer Vielzahl von Neueindeichungen. Es dominiert die Einzelhofanlage auf Warften mit dem langgestreckten, quer geteilten Langhaus. Das älteste Bauernhaus, das Utlandfriesische Haus, ist wegen der schweren Verluste auf dieser Insel nicht mehr nachweisbar. In den Kögen des Festlandes wurden während der fortschreitenden Eindeichung ehemalige Halligen einbezogen. Diese Halligwarften wie Waygaard, Fedderswarft, Dagebüll, auch Stuffhusen in Eiderstedt haben bis heute eine typische Halligbebauung mit dem ehemals Utlandfriesischen Haus, nun in der seit Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden veränderten Form ohne Innenständergerüst.

Typische Ansicht von Eiderstedt. Ein Rest der früheren Nordereider, die über Jahrhunderte die Inseln Eiderstedts vom Festland trennte.
Typische Ansicht von Eiderstedt. Ein Rest der früheren Nordereider, die über Jahrhunderte die Inseln Eiderstedts vom Festland trennte.

Ab dem Ende des 16. Jahrhunderts beginnt in Eiderstedt, der für besonders fruchtbare Böden bekannten Halbinsel an der Eidermündung, durch Einwanderung der niederländischen Deichbauer die Zeit der Haubarge, die sowohl in Dorflage wie auf Einzelwarften das landschaftsprägende Bauernhaus werden und die ältere friesische Langhausbebauung verdrängen oder überformen.

Das altsächsische Niederdeutsche Hallenhaus hat in einem kleinen Verbreitungsraum in Nordfriesland die Eider nach Norden überschritten. In der Eider-Treene-Sorge-Region sowie im südlichen Bereich der Südergoesharde auf der Geest hat es sich erhalten. In der Landschaft Stapelholm sind etliche Bauernhäuser als Zeugen dieses Haustyps erhalten, in Seeth sogar mit Fachhallengerüsten aus Eiche aus dem 16. Jahrhundert. Das Ostenfelder Bauernhaus (Ende 16. Jahrhundert) wurde 1899 als erstes deutsches Freilichtmuseum nach Husum transloziert.

Husum ist Kreisstadt. Auf dem Platz der heutigen Kreisverwaltung, dem Osterkamp, lag seit 1887 der bedeutende Großviehmarkt, der bis 1970 Umschlagplatz für Magervieh im Frühjahr und Fettvieh im Herbst für die gesamte Region und vor allem – schon seit 1783 mit Exportfreigabe Dänemarks – für die jütische Halbinsel war. Von hier, den Inseln, Halligen und der Geest wurde auf dem Ochsenweg Magervieh „in Triften zu 1.000 Stück bis zu 10 Tagen“ zu Markte getrieben. Die Fettgräsung erfolgte im Sommer auf den fetten Weiden der umliegenden Marschen.

Von Husum wurde Getreidehandel mit dem Rheinland und den Niederlanden, besonders mit Amsterdam, abgewickelt. Der Viehhandel, Käse- und Buttertransporte erfolgte über den Tönninger Hafen. Von 1847 bis 1888 blühte hier besonders der Handel mit Rindern und Schafen nach England. Das gut erhaltene große Packhaus von 1783 am Tönninger Hafen erinnert an die Öffnung des Eiderkanals von 1784, der ersten schiffbaren Verbindung zwischen Nord- und Ostsee. Die bestehenden Häfen – heute stehen in Husum am Außenhafen hohe Getreidesilos – gehören zum Verständnis der Entwicklung des Reichtums der Großbauern und ihrer Gehöfte, neben denen im sozialen Gefälle der größere Teil der Bevölkerung in Armut überleben musste.


Landwirtschaftliche Bauten – Entwicklungen der Gründerzeit, der Moderne und Postmoderne

1867 wurde Herzogtum Schleswig und Holstein als preußische Provinz dem preußischen Staat eingegliedert. Es wurden 21 einheitliche Landkreise gebildet an Stelle der vormals kleinteiligeren Struktur unter dem dänischen Gesamtstaat. Bis zu diesem Zeitpunkt war die ländliche Bauweise der Langhäuser, Haubarge und Katen traditionell, es wurden Backstein, Holz, Lehm, Muschelkalk und Reet wie seit Jahrhunderten verbaut.

Grundlegende Veränderungen entstanden nun in der Gründerzeit, die mit der „Industrialisierung“ in der Landwirtschaft zeitlich annähernd zusammenfällt. Die Bauweise mit den neuen Materialien setzte sich langsam durch. Teerpappen als Abfallprodukt der Gaserzeugung, Wellbleche, der neue Zementputz, Beton, Katalogbauteile von der Tür bis zum Türgriff, auch Stuckelemente und Öfen für den Wohnteil veränderten das Architekturbild. Scheunen und Ställe wurden durch traufhohe Blechdrempelbauten ersetzt, auch die Wohnhäuser mit Kniestock hatten flacher geneigte Hartdächer, zumeist aus Teerpappe. Ab 1880 wurden aus Feuerschutzgründen sogar neue Reetdächer in Ortschaften verboten. Schon 1869 mussten Giebel im Reetdach mit Tonpfannen oder Hartdeckung als Fluchtweg eingedeckt werden. Der preußische Staat entwickelte Bauvorschriften und sogar Musterentwürfe, z.B. für Bahnhöfe, Postämter, später auch Schulen.

Der Bau der Eisenbahn von Flensburg nach Tönning 1854 und der Marschbahn von 1885-87 veränderten die Lebensverhältnisse grundlegend. Hinzu kam der Straßen- und Wegebau, die Erfindung des Fahrrades, die Gasleitungen, später Wasser- und Stromversorgung. Der Mähbinder und die Dreschmaschine bedeuteten wesentliche Vereinfachungen für die Landwirtschaft, Agrarprodukte wurden hergestellt und auf Märkten vertrieben. Bäckereien und Meiereien z.B. ersetzten um die Jahrhundertwende viel Handarbeit auf dem eigenen Betrieb. Die hohen Drempelbauten der neuen Betriebe mit Pappdächern und gusseisernen Industriefenstern prägten nun vielerorts das Dorfbild.

Um 1910 entstand als Gegenbewegung der Heimatschutzstil mit der Rückbesinnung auf die traditionellen Bauformen und Baumaterialien wie Rotstein, Tonpfanne und Reet. Es gründete sich die sog. Tonderaner Baupflege als Vorgängerverein der IG Baupflege. Die Neugewinnung von Kögen im NS-Staat und die Neubebauung mit jeweils gleichartigen Höfen (Musterhöfe) folgte einer traditionellen Backstein-Bauweise mit steileren Hartdächern, die insgesamt für die 1930er Jahre typisch ist.

Sönke-Nissen-Koog – Höfe der „Moderne“ von 1926, Architekt Heinrich Stav.
Sönke-Nissen-Koog – Höfe der „Moderne“ von 1926, Architekt Heinrich Stav.

Die Bebauung im Sönke-Nissen-Koog, der Nordergoesharde vorgelagert, ist dagegen ein positives Beispiel für einen modernen Baustil mit neuen Materialien. 1926 werden hier Großgehöfte von dem Architekten Heinrich Stav gebaut, der den Beweis erbrachte, dass durch gute Gestaltung neue Materialien wie grün-weiss gestrichene Bleche, weisse Putze, Glas etc. landschaftsverträglich verwendet werden können. Es ist noch heute, fast 100 Jahre später, ein atemberaubender Anblick, wenn sich die blassgrünen flach geneigten Dächer bei hellem Sonnenlicht mit dem Blau des weiten Himmels verbinden. Eine eigenwillige, harmonische Architektur und doch vollkommen konträr zur traditionellen Bauweise.

Drei weitere einschneidende Nachkriegsentwicklungen veränderten die Kulturlandschaft in Nordfriesland fortdauernd: umgenutzte Resthöfe, wachsender Tourismus und Bauten für alternative Energien.

Zur Erzielung einer auskömmlichen Existenz eines Landwirtes verdoppelte sich im Laufe der Zeit die notwendige Fläche zur Bewirtschaftung. So wurde/wird die Landwirtschaft oft aufgegeben und das Land verpachtet, sowohl von Besitzern kleinerer als auch größerer Höfe. Die Folge ist die Trennung von Landbesitz und Hofgebäuden, die zu den sog. „Resthöfen“ geführt hat. Hof- und Wohnplätze werden durch landwirtschaftliche Vielzweckhallen erweitert. Schuppen, Hallen, Nebengebäude und Wohnhaus stehen ohne erkennbare Ordnung zusammen, es gelten kurzfristige, zweckgebundene Maßstäbe.

Der Tourismus lässt den ländlichen Raum an Nordsee und Wattenmeer für Gästevermietung und Zweitwohnungen attraktiv werden. Seit den 1970er Jahren kommen neue Haus- und Hofgebäudebesitzer ins Land. Die „Zugereisten“ retten viele historische Gebäude vor dem Verfall, aber bauen manche bis zur Unkenntlichkeit um. Landwirten wird zur wirtschaftlichen Unterstützung ein hohes Maß an Umnutzung zu vermietbarem Wohnraum eingeräumt. Bislang beschränkte sich der Fremdenverkehr auf die Seebäder, nun erreichte er den „grünen Raum“.

Der gravierendste Einschnitt in das Hof- und Landschaftsbild datiert ab den 1990er Jahren. Nordfriesland als Wiege alternativer Energieformen wird ein erstes Zentrum des Ausbaus von Windkraft, Bioenergie und Solarenergie. Nach einer kurzen Phase der Experimente nimmt der Zwang zur Größe dramatische Ausmaße an. Der Landwirt als Energiewirt verändert mit Hilfe von Großinvestoren und Maschinenbauunternehmen durch den Bau gigantischer Windparks, Biogasanlagen und riesiger Pultdachbauten für Solarenergie die seit vielen Jahrhunderten bestehenden Größenverhältnisse grundlegend. Im Namen der Energiewende wird die Umwidmung der nordfriesischen Landschaft auch in Zukunft weitergehen. Von vornherein war ein Großteil der Inseln und Halligen sowie der Landschaft Eiderstedt vor einer Bebauung mit Windparks geschützt. Noch zur rechten Zeit konnten bis heute weitere große Gebiete als „Charakteristische Landschaftsräume“ zumindest von Windanlagen weitgehend freigehalten werden: die Arlauer Bucht, die Wiedingharde, der Gotteskoog, die Landschaft um die Soholmer Au und die Eider-Treene-Sorge-Region.

Der wertvolle, historisch gewachsene Haus- und Hofbestand der Kulturlandschaft von Nordfriesland wird durch diese einschneidenden Veränderungen der Industriebauwerke beeinträchtigt, mancherorts zerstört. Für die vielen noch zu rettenden Gebäude und Dorfbilder bedarf es wesentlicher Planungsgrundsätze zum Erhalt und zur Neugestaltung.

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