Text: Ellen Bauer
Vorbemerkung
Im Nordfriesischen Jahrbuch 1989 / Band 25 schreibt Brar-Volkert Riewerts eine Nachbemerkung zum Artikel „Das Friedrichstädter Ziegelwerk auf der Herrnhallig“ von Holger Piening. „Der Aufsatz weist auf ein Gewerbe hin, das einst in Nordfriesland weit verbreitet war. Indessen gibt es eine Gesamtdarstellung der Ziegelproduktion in Nordfriesland nicht und schon gar nicht etwas über Qualitätsmerkmale, Produktionsmengen oder Absatzgebiete.“ Mit meinen folgenden Arbeitsergebnissen wird erstmalig das Thema öffentlich gestellt. Der weiterführende Forschungsbedarf ist elementar.
Geschichte des Ziegels
„Tegler“ hat man hier auf Plattdeutsch den „Ziegler“ genannt. Sprachlich nicht weit entfernt von „tegula“ (lat.), der Ziegel. Die Römer kannten den gebrannten Ziegel aus Ton und errichteten mächtige Bauwerke, oft nach außen verkleidet mit Naturstein.
Ihre Ziegel waren eine Art Ziegelplatte, wenige cm hoch, dafür großformatig vermauert mit breiter Fuge aus besonders haltbarem Mörtel, hergestellt aus „caementum“. Den ungebrannten Ziegelstein kannte man schon in Mesopotamien (4.000 v.Chr.), in trockenen Ländern. Über Oberitalien erreichte Europa die Bauweise in Ziegel im 12. Jh.
Wo der Naturstein fehlte, entstand zur Zeit der Backsteingotik vom 13. Jh. bis zur Neuzeit eine große Blütezeit der schönen Ziegelarchitektur mit Zeugnissen in den Vereinigten Niederlanden, Deutschland und Dänemark bis hin zum Baltikum. Die Hanse war mitbestimmend für den Verbreitungsraum. Kirchen, Adelssitze und Bürgerhäuser überliefern die frühe Ziegelarchitektur in Nordeuropa.
Ziegel in Nordfriesland
Die Ziegelarchitektur in Nordfriesland bietet uns als älteste Beispiele die Kirchen der Städte und Dörfer. Hier ist der Wechsel vom einfachen Feldsteinbau zum Ziegelbau evident. Schon im 12. Jh. beginnt diese Veränderung. Am größten Ziegelbauwerk in Nordeuropa, dem Danewerk (dänisch Dannevirke), gelegen im Süden von Schleswig, kann das heute noch besichtigt werden. Mit einer Grenzbefestigung von 4-5 km Länge und bis zu 4 m Höhe aus Klostersteinen in Mörtel schützte Dänemark sich im 12. Jh. vor feindlichen Sachsen. Ausgrabungen zeigen Teilbereiche des Danewerk aus Feldsteinen aus dem 8. Jh. als Schutz gegen das mächtige karolingische Reich.
Das Schloss vor Husum von 1574-88, das Torhaus von 1612 und wenige erhaltene Bürgerhäuser vom Ende des 16. Jhs. zeigen in Husum originales Mauerwerk der Zeit. Das Herrenhaus in Hoyerswort, Gutshof des Stallers in Eiderstedt (der älteste Teil ist von 1564), bietet eine Vielzahl von Bauabschnitten, für die der vermauerte Ziegelstein ein aufschlussreicher Indikator ist. Nur auszugsweise kann hier anhand einiger Fotos auf dieses spannende Zeugnis der früheren Baugeschichte zur Verwendung des Ziegels verwiesen werden.
Für die Bauernhäuser sind diese Belege der Schlüssel zur Erkenntnis der ältesten gemauerten Wände.
Zur Entwicklung der Verwendung des Ziegelsteines als massive Wand der beschriebenen bäuerlichen Hausformen auszugsweise einige Zitate (Ernst Schlee 1958 – Das Bauerhaus in Schleswig-Holstein und die massive Ziegelwand):
1568 | Haus Markus Swyn in Lehe bei Lunden (Norderdithmarschen) Ziegelschauseite, sonst Ziegelfachwerk |
1597 | Joh. Petreus, Pastor und Chronist Nordstrand (vor der Großen Flut von 1634): „De inwahners hatten schöne lehmbeworfene Reisighüser…“ |
1598 | Neocorus, Pastor und Chronist Dithmarschen: „Nun awers, ungefähr vor wenig 100 Jahren hefft man angefangen, zirlich tho bouwen, mit Tegelsteinen, Brantmeuren“ |
1610 | Jacob Sax, Husumer Prediger: „Gebäude in Brantmauern gebaut“ |
1795 | Volckmar, Chronist Garding/Eiderstedt: „fast alle Häuser von Brandmauern aufgeführt“ |
Erst seit Beginn des 17. Jh.s haben wir überlieferte Zeugen der genannten Bauernhäuser aus massiven Ziegelsteinwänden. Die massive Wand aus Steinen, die die lehmverstrichene Fachwerkwand, die Holzbohlen-, oder Sodenwand als Aussenhülle des Hauses ablöst, geht hier zum einen auf niederländischen Einfluss zurück, doch auch auf hanseatischen. Die Verbindung zu den norddeutschen Hansestädten war eng.
Klosterformat 12.-17. Jh.
Der älteste Stein ist der sogenannte Klosterformatstein. Eine Chronologie ist allein durch das Format nicht abzuleiten. „Das normale Maß ist im ganzen Mittelalter dasselbe. Länge/Breite/Höhe in cm 26-30/12-14/8-10 (das entspricht 12:6:4 Zoll) im Verhältnis 3:11/2:1. Der frühgotische Turm der Kirche in Nieblum auf Föhr ist geschossweise aus diesen Formaten gebaut“, soweit Richard Haupt.
Klostersteine an den Außenmauern der Haubarge verweisen oft auf eine Wiederverwendung von Steinen der Vorgängerbauten. So wurden z.B. beim Haubarg Trindamm 1825 die Reststeine des abgebrannten Haubargs des 17. Jh.s wieder vermauert. Man „versteckte sie oft an den nicht zum Hof gerichteten Stallwänden (Haubarg Trindamm, Haubarg Hülkenbüll). Sind sie in der Originalvermauerung anzutreffen, hat man einen guten Hinweis auf die mögliche Bauzeit (Haubarg Marschkoog Tetenbüll Langhaus /Format 27/13/7). Dieses Format ist im original erhaltenen Mauerwerks des Hospitals in Tönning von 1602 zu finden (Format 27/13/7). Die Messungen am Schloss vor Husum (1584) am Haupthaus ergeben 26-28/13-14/7-8 cm, identisch mit den Angaben von R. Haupt.
Ziegel des 17. Jh.s
Neben dem Format 27/13/7 des frühen 17. Jh.s (Hospital Tönning 1602 / Deichgrafenhof Ehsing) gibt es einen klaren Befund eines anderen Formates am Haus Axen in Lindholm von 1648. An diesem am besten erhaltenen Utlandfriesischen Haus findet man das Format 23,5/11,5/6 in einer originalen Vermauerung an allen Außenmauern. Dieser Befund bestätigt die Tendenz, bei Neubränden den schweren mittelalterlichen Klosterstein geringer zu bemessen. Der schwere Klosterstein wird handlicher. Üblich scheint im Laufe des 17. Jahrhunderts das Format 25/11,5/6 zu sein.
Friedrichstädter Moppe des frühen 17. Jh.s
Einfacher sind die Zuordnungen des mit Gründung der Stadt Friedrichstadt (1621) aus den Niederlanden auf Schiffen importierten kleinformatigen Ziegelsteines. Die Friedrichstädter Moppe misst 18/9/4 cm (alternativ 17,5/8,5/4). Der Ziegel ist klein, handlich schnell zu vermauern, hat weniger Eigengewicht. Die zahlreichen, möglichen Gründe des vollkommen andersartigen Formates geben Anlass zu mauertechnischen Begründungen und Fragen zur Herstellungstechnik. Ab dieser Zeit und später findet man dieses kleine Format auch in Eiderstedt und dem übrigen Nordfriesland oft im oberen Teil von Giebeln (s. Giebel Haus Axen). Das geringe Gewicht des Steines erscheint als ein wesentlicher Grund der Veränderung, sowie die Produktion in den Niederlanden.
Somit kann festgestellt werden: es sind mindestens 4 verschiedene Formate im 17. Jh. in Gebrauch. Der schwere Klosterstein, der kleinere wie am Haus in Lindholm sowie der 27er Stein mit 7 cm Höhe, dazu die Friedrichstädter Moppe mit nur 18 cm (17,5) Länge. Alle sind Handstrichsteine aus dem Kohlebrand.
Ziegelformate als Indikator für Baustufen (Klosterformat)
Zur Übersicht von nordfriesischen Ziegelformaten
Die Bauuntersuchung zur Datierung eines Gebäudes über dieLINK vermauerten Ziegel bedarf also eines sehr genauen Hinschauens und Wissens. Baustufen müssen erkannt werden. Sie zeigen sich als sogenannte „Störungen“ im Mauerwerk. Ziegelformat, Mörtel oder Verband wechseln. Der Duktus der Vermauerung, breite oder schmale Fugen, Ausbildung der Stürze, Gesimse und Zierbänder geben Anhaltspunkte. Deutlich zeichnen sich nachträglich veränderte Öffnungen ab.
Als besonderes Beispiel kann hier der Rote Haubarg erwähnt werden. Nur durch das Freilegen und Aufmessen der Ziegelformate können hier aufeinander folgende Baustufen erkannt und zugeordnet werden (siehe Skizze Vörhus mit Eintragungen der Messungen E.B., Abbildung unten). Die südlichen Ständer des Haugbarggerüstes – erst kürzlich dendrochronologisch bestimmt auf die Bauzeit von 1665 – stehen in verkürzter Form auf einem älteren vorhandenen Mauerwerksbefund. Die Auswertungen der Notizen von 1984 ergeben endlich, nach stets vagen Vermutungen, wie ein Vorgängerbau integriert wurde.
Das Ziegelformat des 1665 „neu“ errichteten Haubargs verweist auf niederländische Baumeister durch die Maße der Friedrichstädter Moppe 18/9/4 cm an den Umfassungswänden, gemauert in Lehm mit Verfugung aus Muschelkalk. Diese kleinformatigen Steine unterscheiden sich stark von den sensationellen (Länge des Steines 30 cm!) Befunden im Wohnteil, wo untere Mauerwerkspartien in den alten Klosterformaten 30/15/6,5 und 28/14/6,5 sowie 27/13/7 cm ungestört original vermauert und erhalten sind. Der Vorgängerbau, der laut schriftlicher Überlieferung 1604 als „Haus und Hoff“ schon stand, ist endlich verifiziert (aus eigenem Interesse an den Steinformaten während der kurzen Zeit der Freilegung 1984 – offizielle Bauforschung fand nicht statt).
Das Geesthardenhaus von Sterdebüll von 1863 ist am Westgiebel aus dem Format des o.g. Hauses Axen (1648) gemauert, doch als Wiederverwendung. Dieses Gebäude zeigt drei verschiedene Vermauerungen, besteht aus 2 Bauepochen (1863 / Teilerneuerung ca.1900-1910 / Sanierung 2000)
Ziegelsteine waren immer ein kostbares Baumaterial. Wenn ein „Rest“ nach Abbruch, Flut oder Brand nur aus gebrochenen Steinen bestand, wurde auch dieser für statisch nicht belastete Wände verwendet mit anschliessender Kalkschlämme (Beispiel Utlandfriesisches Haus von 1669, Langenhorn, Foto siehe unten).
Roter Haubarg von 1665: Ziegelsteinbefunde des Vorgängerbaus aus Klostersteinen im Vörhus (vermutl. 16. Jh) pink markiert
Utlandfriesisches Haus von 1669, Langenhorn: Verwendung von Steinen aus Kohlebrand. Innenmauerwerk, Mittelwand Ost.
Ziegel des 18. Jh.s
Die genannten Formate werden im Laufe dieses Jahrhunderts „handlicher“, kleiner. In der 2. Hälfte ist das Format 25/12,5/6 nachzuweisen: Das Packhaus in Tönning von 1783, der untere Teil des Kirchturmes in Tönning und weitere. Dieses Format ist dem späteren „Reichsformat“ ähnlich, doch die Oberflächen als Handstrichsteine aus dem Kohlebrand unterscheiden sich vom späteren glatten Ziegel der preußischen Zeit. Wann sich genau der dann folgende gängige Stein des 19. Jhs, der sog. 8-zöllige Stein, durchsetzt, muss noch ermittelt werden.
Holländisches Format und „8-zölliger Stein“ des 19. Jh.s
Als „Holländisches Format“ ist der Ziegel am Trindamm-Haubarg 1825 einzustufen (20/10/5). Eine Vielzahl von Gebäuden um 1800–1820 sind aus dem Stein 21/10/4,5 gemauert (Haubarg Blumenhof / Haubarg Marschkoog / Haus Bodewaldt Tating). Er ist wohl der am häufigsten verwendete Ziegel, der auch lt. Beschreibung in der Mitte des 19. Jh.s in Nordfriesland vorwiegend hergestellt wird als der sogenannte „8-zöllige Stein“: umgerechnet auf die cm-Maße wäre das 20,32/9,5/4,5 cm.
Diese genannten Formate sind sich ähnlich. Die verschiedenen Ziegeleien werden ohne Zwang zur Norm ihr eigenes Format hergestellt haben. Maßliche Abweichungen durch den Brandvorgang sind ebenfalls zu berücksichtigen. Spuren des Kohlebrandes aus Feldbrand und Ringofen bleiben noch typisch bis zur Gründerzeit. Die Geschichte der „lebendigen“ handgeformten Ziegel endet mit den Industriesteinen aus der Strangpresse, gebrannt in Dampfziegeleien.
Reichsformat ab 1872
Nach Übernahme des Herzogtums Schleswig durch den preußischen Staat ändern sich die Bauvorschriften und die Bauweise. Es beginnt die sog. Gründerzeit. Das nun gängige Ziegelformat von 25/12/6,5 cm, das sog. Reichsformat, ist dem heutigen genormten von 24/11,5/7,1 cm (Normalformat) schon ähnlich. Gleichmäßiger gebrannte Ziegel, geformt durch die Strangpresse, ergeben ein einheitliches Mauerwerksbild. Um 1900 verdrängen die Dampfziegeleien nun vollends die Kohlebrandtechnik der Feldbrände und Ringöfen.
1910 entspricht das Format 23,5/11/5,5 cm an einem Aufsichtsmannhaus im Heimatschutzstil (bei Tönning) fast dem heute normierten Format mit den Abmessungen 24/11,5/5,1 cm (Dünnformat).
Normierung ab 1918
Ab ca. 1918 beginnt die Normierung der Steinformate durch die Einführung der DIN-Normen. Das Normalformat beträgt 24/11,5/7,1 cm. Das Dünnformat 24/11,5/5,1 cm. Längen, Schichten und Stärken des Mauerwerksaufbaus sind nun schon bei der Planung genau berechenbar. Der neue Stein hat eine vordere glatte Oberfläche mit leichter Sinterschicht und eine raue Oberfläche nach hinten.
Vertiefend zu diesem Thema aus dem IG Baupflege Archiv
Maueranker 03/2017: Muschelkalk, Murplaat & Maueranker
Maueranker 03/2012: Über Ziegeleien und Ziegel in Nordfriesland
Maueranker 01/1990: Die Steine reden … Ermutigung zur privaten Bau-Archäologie